The Nickel Boys von Colson Whitehead ist ein besonderes Buch. Es ist eingehend, schön, brutal und schrecklich. Es ist die Geschichte zweier junger schwarzer Männer, die auf eine sogenannte Reformschule geschickt werden.
Da ist ein Ventilator. Sehr groß stelle ich ihn mir vor. Laut ist er auch, laut genug, als das alle wissen, dass er an ist. Er muss also groß sein. Mit jeder Drehung eines Flügels pfeift ein Gürtel durch die Luft, der an einem solchen Flügel hängt. So ungefähr beschreibt Colson Whitehead in Nickel Boys etwas, das einem der Hauptcharaktere permanente Narben auf den Beinen hinterlassen wird. Elwood ist für ein Vergehen, das keines ist, an einer „Reformschule“ gelandet. Hier versucht er entgegen Missbrauch und Rassismus an den Lehren von Martin Luther King Jr. festzuhalten und sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Gewalt, die Elwood und die anderen Schüler erfahren wird nie explizit beschrieben. Es sind das Netz aus Narben und der lange Aufenthalt im Krankenzimmer, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Oder die zahllosen Gräber, die zufällig entdeckt werden und mit denen Whitehead sein Buch beginnt, die die Gewalt auf eine Art nahe bringen, die keine expliziten Beschreibungen benötigt, um ein Gefühl des Grauens hervorzubringen. Es beruhigt mich beinahe, dass mich diese Art von Gewalt, die näher und echter erscheint, als die Gewalt in den phantastischen Geschichten die ich sonst lese, so trifft. Anderswo zerteilen Schwerter Menschen und ich zucke kaum mit der Wimper. Vielleicht ist es die Tatsache, dass es ein Schwert ist oder eine Laserpistole, die so weit weg erscheint von Rassismus und Missbrauch, dass die fehlende Realität einen gewissen Abstand schafft. Nickel Boys reißt diesen Abstand ein, überspringt ihn und ist schnell sehr nahe. Für mich als weißen Menschen sicherlich noch einmal ganz anders und weniger intensiv nah, das kann ich nicht beurteilen.
Whitehead erzählt auf etwas mehr als 200 Seiten die Geschichte zweier junger Männer, die in einem System gefangen sind, das explizit gegen sie entwickelt wurde. Nichts daran erscheint der Realität fern oder phantastisch. Sicherlich ist es Fiktion, aber sie erscheint so fest verankert, dass sie einen Einblick in die amerikanische Geschichte liefert, der so schnell nicht vergessen werden kann. Whitehead orientiert sich dabei an der „Florida School for Boys“, die auch „Arthur G. Dozier School for Boys“ genannt wurde. Diese „Schule“ war von 1900 bis 2011 in Betrieb und eine der größten Orte für „Jugendreform“ in den USA. Hier ein Auszug aus dem Wikipedia Artikel:
Throughout its 111-year history, the school gained a reputation for abuse, beatings, rapes, torture, and even murder of students by staff. Despite periodic investigations, changes of leadership, and promises to improve, the allegations of cruelty and abuse continued.
After the school failed a state inspection in 2009, the governor ordered a full investigation. Many of the historic and recent allegations of abuse and violence were confirmed by separate investigations by the Florida Department of Law Enforcement in 2010, and by the Civil Rights Division of the United States Department of Justice in 2011.[4] State authorities closed the school permanently in June 2011. At the time of its closure, it was a part of the Florida Department of Juvenile Justice.
Eine Kollegin meinte dazu, dass sie gerne bereit ist Colson Whitehead auch durch andere Aspekte der amerikanischen Geschichte zu folgen. Ich möchte mich dieser Reise anschließen.
Das Buch ist inwzischen sowohl auf Deutsch, als auch auf Englisch erschienen. Ich habe ein Leseexemplar lesen dürfen.