In diesem WEEKLY PLANET wird Appalachia besucht und es werden unfreiwillige Wortspiele vollbracht. Oder sind sie doch mit Absicht?
DRAGONS EAT EVERYTHING UPDATE
Es geht munter weiter. Am Freitag haben wir im NINJA PIRATE BROADCAST über einen Comic, eine Folge Black Mirror und über Dinge geredet, auf die wir uns dieses Jahr freuen. Die OM NOM NOM AWARDS sind jetzt auch auf der Website, ebenso wie die Playlist für die letzte ALL YOU CAN EAT Folge.
What You Are Getting Wrong About Appalachia von Elizabeth Catte
Elizabeth Catte beschreibt Appalachia als ein politisches Konstrukt und einen geographischen Bereich. Appalachia ist mehr als eine Million Quadratkilometer groß, reicht von Alabama bis New York und ist Teil von 13 Bundesstaaten der USA. Es ist ein Gebiet mit einer reichen, vielfältigen und oft gewaltvollen Geschichte. In ihrem Buch What You Are Getting Wrong About Appalachia lüftet Catte den Vorhang und zerlegt ein anderes Buch, Hillbilly Elegy von J.D. Vance, in seine Einzelteile.
Hillbilly Elegy ist ein Buch dem vieles zugeschrieben wird. Es wird benutzt, um Trumps Erfolg bei den Wahlen zu erklären. Es beschreibt einen Teil der Gesellschaft, der sich selbst der größte Feind sein soll. J.D. Vance gibt der Bevölkerung Appalachiens die Schuld an ihrer Armut, nicht etwa den Gesetzen, der Korruption oder den Kohlekonzernen. Er sieht das Gebiet auch als einheitlich Weiß an, bei rund 25 Millionen Bewohner*innen eine fragwürdige Aussage.
Catte nutzt ihr relativ kleines Buch, um mit den Aussagen von Vance ordentlich aufzuräumen. Sie geht auf die beeindruckende, von Arbeitskämpfen und Umweltaktivist*innen geprägte Geschichte des Gebietes ein und stellt zahlreiche Gründe und Argumente vor, die Hillbilly Elegy auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Zielsicher sortiert sie die eugenistischen und rassistischen Ansichten von Vance in ihre verdienten Schubladen.
What You Are Getting Wrong About Appalachia sorgt dafür, dass ich gerne eine Warnung neben den Stapel aus Hillbilly Elegy Büchern legen möchte. Die weist darauf hin, dass Vance der Meinung ist, dass die Armut den Bewohner*innen von Appalachia angeboren und vererbt worden sei. Dass sie alle dumm, ambitionslos, ungläubig und schlecht mit Geld und süchtig wären, weil das ihr Schottisch-Irisches Blut sei. Auf dem Zettel steht dann auch, dass Rassisten in den USA diese Argumente seit je her benutzen, um gegen People of Color zu hetzen. Die selben Rassisten finden Vance übrigens spitze. Wer sich also hinsetzt und der Meinung ist, dass Vance das Buch des Jahrzehntes geschrieben habe, sagt damit noch einiges mehr.
Catte kritisiert nicht nur Vance, seine Quellen und Zeitgenossen, sondern auch die Publikationen, die das Buch ohne weiteres in den Himmel gelobt haben. Sie setzt sich auch mit der Kraft von Bildern und dahin gehend mit der Darstellung von Armut auseinander und analysiert so eine Vielzahl an Vorurteilen gegenüber der Region.
Ich bin dankbar für What You Are Getting Wrong About Appalachia. Es hat mir einen faszinierenden Überblick über einen essentiellen Teil amerikanischer Geschichte gegeben. Es hat den Kampf gegen Fossile Energie in ein neues Licht gerückt, meinen Kopf durchgeschüttelt und mir eine gehörige Portion Respekt vor den Menschen gegeben, die Tag ein Tag aus gegen die große Fabrik nebenan auf die Straße gehen.
What You Are Getting Wrong About Appalachia von Elizabeth Catte ist bei Belt Publishing erschienen. Ich habe mir meine Kopie gekauft, eine Bestellung dauert rund zwei Wochen.
Lesestoff
- Why I deeply dislike your older Boyfriend / TW: abuse/assault
- Ins Zentrum gesendet / über Piratenradios in London
- Reflektionen über 2018
- The Stories we were told about Education Technology in 2018
- How Millenials became the Burnout Generation
- Ten for Twenty Nineteen
Stutenbiss Nummer Drei: Aenne Burda
Aenne Burda hieß eigentlich mal Anne mit Vornamen und wird von allen höflich mit Frau Doktor angeredet. Schließlich war ihr Mann der Herr Dr. Burda, Drucker und Verleger aus Offenbach! Dann fand sie heraus, was in der Umgebung alle wussten. Ihr Mann hielt sich eine Geliebte samt Tochter im Dorf nebenan und diese Frau setzte auch noch die Geschäftsidee von Anna Burda um – Eine Modezeitschrift für Frauen mit Schnittmustern. Anna stellt den Doktor vor die Wahl: Scheidung oder Verlag und legte damit den Grundstein für ein Unternehmen, das später mal 25 Millionen Blätter Auflage haben wird. Sie nennt sich ab sofort Aenne und möchte nicht mehr mit Frau Doktor angesprochen werden „Der Doktor ist mein Mann ich bin Frau Burda.“
Kürzlich produzierte der SWR einen Zweiteiler zu Aenne Burdas Leben. Das Drehbuch ist ganz ordentlich, die reale Geschichte bietet ja genug Stoff, auch die Schauspieler und Schauspielerinnen sind überzeugend. Leider reißt die Kameraführung alles ein, weshalb sich dieser Film eher in der Hörfilmfassung anzuhören lohnt, als anzuschauen.
Die Geschichte von Aenne Burda ist eine Emanzipationsgeschichte im Nachkriegsdeutschland, in der Frauen zu Hause zu bleiben und die Affären des Ehemanns lächelnd zu dulden hatten. Im Film kommentiert eine gutbetuchte Bekannte Aenne Burdas neuen Job mit „Nur weil man betrogen wurde, muss man ja nicht gleich arbeiten gehen!“ Und die Ehe? Die Burdas bleiben zum Tod von Dr. Burda verheiratet und teilen sich auch ein Schlafzimmer, führen aber eine offene Beziehung. (BILD nennt das übrigens „Fremdgehen für Frauen salonfähig gemacht“ … Ja nun.)
Klar, Aenne Burda handelte aus einer privilegierten Position heraus und bis sie einen Betriebsrat im Unternehmen zuließ, verging auch viel zu viel Zeit. Trotzdem ist ihre Geschichte ein gutes Beispiel dafür, wie Mensch die eigenen Privilegien sinnvoll Nutzen kann und wie vor allem Willensstärke und Charme wirken können. Achja und schöne Kleider gibts als Bonus oben drauf.
Paula ist ne coole Socke. Ihr könnt sie hier finden und ihr Arbeit geben.
Outro
Frohes neues Jahr! Möge es gesund und sicher über die Bühne gehen. Hier ist ein guter Vorsatz aus dem Newsletter von Warren Ellis:
Turn off everything that doesn’t work for you, look for alternate processes to do the things you want to do better, speak on your own terms, block and mute and re-route.
Das wird auch meine Devise sein. Ich muss noch schauen was ich mit Twitter mache. Momentan liefert es mir wundervolle Bilder. Facebook mache ich nur noch für DRAGONS EAT EVERYTHING und auf Instagram war ich ewig nicht mehr. In diesem Jahr möchte ich mehr als nur Buchbesprechungen für den Newsletter schreiben. Das ist mein Vorhaben und wir werden sehen wie es läuft. Bis dahin Danke fürs Lesen und alles Beste!
Das Bild ganz oben kommt von hier.