Wer schreibt was über wen? – WEEKLY PLANET #119

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Willkommen. Heute geht es um das neue Buch von William Gibson, Kontroversen im Lande der Verlage und um kritische Kurzgeschichten.

Der WEEKLY PLANET kommt alle zwei Wochen und liefert Buchbesprechungen, lesenswerte Texte des Internets und ein Update über das was wir bei DRAGONS EAT EVERYTHING so machen.

Ich heiße Lele, bin Student, verkaufe Comics und mache Radio. Schön dich an Bord zu haben. Tee zieht, Musik läuft, angeschnallt, Los.


DRAGONS EAT EVERYTHING UPDATE



Agency von William Gibson

Es ist unfair William Gibson auf Cyberpunk zu reduzieren. Der Mann hat auch nach Neuromancer noch fantastische Bücher geschrieben, die langsam aber sicher immer näher an das Jetzt herangerutscht sind. Oder vielleicht war es anders herum. Inzwischen spielen sie übermorgen, oder vielleicht heute, nur in einer anderen Zeitlinie. Mit The Peripheral hat er sich diese Zeitlinien aufgemacht. Sie können über einen Server besucht werden und bei Bedarf kann eine Person aus der einen Zeitlinie in einer anderen agieren, sie braucht dafür nur ein ferngesteuertes Gerät. Das kann eine Drohne sein oder ein künstlicher Körper. Nun ist Gibson mit Agency wieder da und besucht einmal mehr das Universum, in dem von einer Zeitlinie aus andere beeinflusst werden.

Nach eigenen Aussagen hat Gibson das Buch mehrmals neu angefangen. Die politische Wende in den USA 2016 war ein Faktor dafür. Das scheint auch der Grund zu sein, warum in der Zeitlinie, die die größte Rolle im neuen Buch spielt „Sie“ Präsidentin geworden ist und nicht „Er“. Gleichmeraßen suggeriert Gibson stark, dass der „Jackpot“, ein weltumfassendes, katastrophales Ereignis, dass eine Oligarchie und starke gesellschaftliche, politische und ökologische Wandlungen mit sich brachte, in der Zeitlinie von „ihm“ passiert ist. Die „Jackpot“ Welt begleitet die andere ein weiteres Mal. Charaktere aus The Peripheral kehren zurück, um sich erneut in den Verlauf einer anderen Zeitlinie einzumischen und sie in eine vermeidlich „gute“ Richtung zu schieben.

In der Welt in der „Sie“ Präsidentin wurde, verdient Verity ihr Geld damit Apps zu testen und danach dementsprechende Tipps zu geben. Ihr neuester Job dreht sich um eine VR Brille und eine künstliche Intelligenz namens Eunice, die zu deutlich mehr fähig ist als zuerst angenommen. Es folgen eine Menge Drohnen, Verfolgungsjagden, Kaffe, Sandwiches, Container in denen es sich Leben lässt und vielleicht der dritte Weltkrieg. Verity schlägt sich in all dem ganz gut, wenn man bedenkt, dass sie nach relativ kurzer Zeit mit anderen Realitäten/Zeitlinien konfrontiert wird und so gut wie nie entscheidet, was als nächstes passiert.

Verity wird essentiell von hier nach da kutschiert und erlaubt es Gibson so seine ziemlich nahe Zukunft darzustellen. Die Gig-Economy blüht. Wer hacken kann, hat Geld und im nahen Osten drohen Konflikte. Ich muss zugeben, dass mich diese doch wenig radikale Zukunft kaum beeindruckt hat. Ja, Gibson beschreibt sehr coole Sachen. Die Drohnen und der Umgang mit VR sind toll. Aber wo Autoren wie Cory Doctorow austeilen, wenn sie Umstände beschreiben, fehlt mir hier eine Beurteilung oder Bewertung. Es fällt mir schwer, die andere Welt als so viel besser zu sehen, wenn sich an grundlegenden Dingen, wie der Verteilung von Geld oder der Gig-Economy nichts geändert hat. Und ja, das ist allemal besser als Kinder in Käfigen oder der tatsächliche dritte Weltkrieg. Aber ich habe für mich gemerkt, dass ich mehr erwarte, als nur eine okaye und einfach anders beschissene Zukunft. Oder wenigstens eine Anerkennung davon, dass diese Form der Gesellschaft auch beschissen ist.

Das Buch heißt „Agency“. Agency steht unter anderem für eine „Handlungsmacht“ und lädt damit ein sowohl auf die künstliche Intelligenz im Buch zu schauen, die sich selbstständig macht und größtenteils unsichtbar ihre Fäden zieht. Es lässt sich außerdem auf diesen gesamten Strang anwenden, in den sich die Menschen aus der vom Jackpot ruinierten Welt einmischen. Verity ist wohl die Person mit der wenigsten Kraft über ihre Handlungen und ihren Weg. Eunice nimmt sich die „Handlungsmacht“ irgendwann einfach.

Agency ist um Himmels Willen kein schlechtes Buch. Es unterhält ganz ausgezeichnet und ist in seiner nähe zur heutigen Zeit beeindruckend. Die Technik ist cool, die Szenen gut gesetzt und Gibson weiß wirklich über die Verbindung von Technik und Alltag zu schreiben und sie natürlich aussehen zu lassen. Es braucht ein wenig um reinzukommen und wer sich nicht mehr an The Peripheral erinnert, sollte noch einmal nachlesen. Es ist mein persönliches Interesse an radikaleren Ideen oder tatsächlicher Kritik am System, was mich eher unbeeindruckt zurücklässt. Ich habe mir mehr scharfe Kanten gewünscht. Aber die muss ich mir wohl woanders holen.

Ich habe ein Leseexemplar von Agency gelesen. Das Buch ist inzwischen erhältlich und der Buchladen eurer Wahl hat es höchst wahrscheinlich im Angebot. Entweder bei Belletristik oder SFF, je nach Buchladen.



Links und wieder Links

I worry that corporate media, having appropriated and capitalized on social justice, has helped to irreversibly shape and limit the vocabulary we use online to discuss important issues in a world where social media will only grow in popularity as the theater where those conversations happen. Or, I guess, the place where presidents can unceremoniously announce wars. Everything happens so much.
via Lessons From the “THIS!” Factory – ¡Hola Papi!

I do think that the trans community needs to be able to find itself through art, and to be allowed to be messy in the process of so doing, as Black radical and women’s creative communities were allowed to do, over the last century. But it is also true that everyone’s lives and communities and processes are also far more public than they ever were before, so it is far easier for any messiness to be weaponized against the community in question. But that also doesn’t mean we can’t adapt for the internet age the lessons we learned in previous decades about how to weather what happens when the status quo becomes aware of the marginalized narrative construction process. But it’s still scary and messy to see people who aren’t you thinking they get to know you.

All of which is to say, I wish they hadn’t needed to pulled this piece, but I definitely understand why they did.

Ich habe die Kurzgeschichte, um die es geht, gelesen. Ihr könnt sie relativ leicht finden, sie ist auch in dem Newsletter, den ich hiermit noch einmal verlinke. Mir fehlt für ein Urteil verdammt viel Kontext. Aber der Diskurs ist faszinierend und zeigt wie sehr viele Menschen heute sehr schnell sehr gemein und eklig werden. Und wie viel fiktive Geschichten noch erreichen können. Da geht ordentlich die Post ab und das ist gut so. Es wäre besser, wenn Menschen nicht direkt darunter leiden müssten.



Outro

Ich höre gerade „Kanonen auf Spatzen“ und habe das große Bedürfnis die Beatsteaks mal wieder live zu sehen und staubig aus der Menge zu kommen. Oh ja. Heute liefen den ganzen Tag über nur Hits. Da war „Der Graf“ heute Vormittag und jetzt ist es „I Don’t care as long as you sing“. Das ist meine Empfehlung für die Woche. Hört die Songs die euch Kraft geben, die Erinnerungen wecken – zum Beispiel daran, dass sie auch bei voller Beleuchtung noch einmal wiedergekommen sind – und die positive Gefühle wecken. Denn das tut verdammt gut.

Haltet euch fest, schaut die zweite Staffel Sex Education und bleibt gesund.
Bis bald.

About the Author

Lele

Wurde von einer Horde wilder Otakus aufgezogen und hat sich danach der westlichen Comicwelt gewidmet. Leles Spinnensinn klingelt wann immer jemand fragt „Warum heißt er eigentlich BATman, wenn er doch eigentlich der Gute ist?“. Er bringt eine umfangreiche Erfahrung in der Comicindustrie mit und die teilt er gerne mit jedem, egal ob er nun davon hören will oder nicht. Immer gut gelaunt spezialisiert sich Lele neben den Comics vor Allem auf Musik. Falls es eine japanische Underground-Band gibt, in der 4 Schulmädchen auf Gummihühner die Werke Mozarts nachspielen, so hat Lele schon ein Interview geplant, ein T-Shirt der Band im Schrank und ein Tattoo der Frontsängerin auf seinem Knöchel. „Also ich habe ja die Bücher gelesen…“ – Lele Lucas

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