Review: Walkaway von Cory Doctorow

In Bücher zum Lesen by LeleLeave a Comment

Laut Neal Stephenson hat Cory Doctorow mit Walkaway die „Bhagavad Gita of hacker/maker/burner/opensource/git/gnu/wiki/99%/adjunctfaculty/Anonymous/
shareware/thingiverse/cypherpunk/LGTBQIA/squatter/upcycling culture
“ geschrieben. Die Bhagavad Gita ist eine der zentralen Schriften des Hinduismus. So sehr stecke ich da nun auch nicht drin, aber ich würde sagen: „Das passt.“

Manchmal macht Cory Doctorow in Walkaway das, was er mit seinen Blog Einträgen macht. Er schreibt, um zu verstehen, um seine Gedanken zu artikulieren und um eine Sache anderen verständlich zu machen. Das alles vor dem Hintergrund einer vermeidlichen Dystopie in der sich einige Menschen entscheiden wegzugehen. Sie werden „Walkaways“, sie entziehen sich der Gesellschaft, sagen sich los und halten diese philosophische Idee des „weggehens“ immerzu aufrecht. Ihnen gegenüber steht das Normal oder wie es im Buch heißt „default“. Hier herrschen hyperkapitalistische Zustände, es wird ständig überwacht, alles was wir uns heute vorstellen können und fürchten ist möglich geworden.

Wie jede gute Dystopie ist diese ein Blick auf unsere Gesellschaft, nur eben ein paar Jährchen in der Zukunft, eine Mischung von Neuromancer und Diamond Age. Hier kann man, wenn man möchte Abends zu einem Rave in einer alten Muji Fabrik gehen. Lebendiges Bier trinken, das aus Kulturen besteht, die sich aus dem eigenen Urin wiedergewinnen lassen und am Ende dabei zuschauen wie Maschinen illegal Muji Betten drucken. Dass danach die Polizei ins Spiel kommt, das erscheint irgendwo logisch. Von hier aus macht die Geschichte immer mal wieder Zeitsprünge und erzählt die Geschichte einer ausgewählten Gruppe von queeren Menschen, die sich fern von default ein neues Leben aufbauen.

Die POVs sind ansprechend, leicht nachzuvollziehen und die Charaktere sind interessante Persönlichkeiten. In ihren Unterhaltungen über ihre Gesellschaft schafft es Doctorow immer wieder Kritik an der heutigen Situation einzubauen. Manchmal wiederholen sich Unterhaltungen und da ich seine Blogs schon länger lese hatte ich manchmal das Gefühl eine Idee bereits aus seiner Richtung zu kennen. Für mich war das kein Problem, ich mag seine Texte und weiß seine Meinung zu schätzen. Wenn jemand aber schon bei im ersten Satz dieses Textes, bei git/gnu/wiki gefragt hat, was das wohl sein mag, dann könnte es sein, dass euch das Buch schnell verliert. Ein gewisses Maß an Vorwissen oder Interesse an aktueller digitaler Gesellschaft ist notwendig, um das Buch zu verstehen.

Einer der zentralen Gedanken, den der „special snowflakes“, hat es mir angetan. Vielleicht würde ich ihn in zahlreichen kommunistischen oder sozialistischen Schriften wieder finden. Aber die Idee zu handeln, weil es nötig ist oder hilft und nicht aus Bedürfnis nach Bestätigung finde ich interessant und wichtig. Sie ist zentral für dieses Buch und wird in vielen Situationen ausführlich diskutiert. Es geht darum, nicht zu zählen.

Unsere Gruppe von Walkaways diskutiert aber nicht nur. Als ihnen das Geheimnis der Unsterblichkeit in die Hände fällt, müssen sie sich wiederholt mit der Außenwelt auseinandersetzen. Die Sache mit der Unsterblichkeit hat mich überrascht, sie kam so zügig. Die Auseinandersetzungen mit default haben gegen Ende kaum noch einen überraschenden Charakter. Sie erscheinen ein wenig wie Wiederholungen. Aber das ist okay. Walkaway ist kein Thriller und auch keine Geschichte voller wilder Wendungen. Es ist vielmehr ein Gedankenspiel, viele spannende Ideen, ansprechende Charaktere und somit ein durchaus lesenswertes Buch. Vielleicht sollte man nur vorher mal auf eine Maker Fair gehen, um ein Gefühl für diese Denkweise zu bekommen.

Cory Doctorows Walkaway ist draußen und wartet in der freien Wildbahn auf euch.

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