Point’n’Click und Hypermaskulinität

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Walking Simulator wie Firewatch oder Gone Home sind eine feine Sache. Sie können tolle Geschichten erzählen, eine immersive Spielerfahrung vermitteln und, nach Melissa Kagen, Hypermaskulinität untergraben. Kagen hat hierzu einen umfangreichen und sehr lesenswerten Text geschrieben, der in „Walking, Talking and Playing with Masculinities in Firewatch“ auf gamestudies.org erschienen ist.

Kagen argumentiert, dass durch die Passivität der Spieler*innen bzw. Protagonist*innen dem Genre der Walking Simulator eine Grundhaltung innewohnt, die dem typischen (hypermaskulinen) Computerspiel entgegensteht. Jedoch musste ich bei folgendem Satz etwas grübeln:

„The player in a traditional videogame enjoys explicit, participatory interactivity that allows them to have an effect on the system; if hypermasculinity demands activity and accomplishment, then walking simulators are born as a non-hypermasculine game genre.”

Interaktivität wohnt ja eigentlich jedem Computerspiel inne, das gilt sogar für Desert Bus Driver. Insbesondere in Firewatch kann zwar nicht jeder Zweig aufgehoben werden, jedoch werden Türen zerschlagen, Scanner gestohlen oder Seile angebracht. Die Welt von Firewatch ist nicht frei von Aktivität und Erfolgen. Es ist eine dreidimensionale Sandbox mit Story Progression und einer sich verändernden Umgebung. Spielenden wird beinahe sofort beigebracht, wo es hingehen soll, was aufgehoben und was liegen gelassen werden muss.

Das heißt natürlich nicht, dass Kagens Argument nicht auf Firewatch anwendbar ist. Jedoch musste ich überlegen, ob ein anderes Genre nicht mindestens genauso gut Hypermaskulinität untergräbt: 2-dimensionale Point-and-Click Adventure aus den 80ern und 90ern, wie Broken Sword (dt. Baphomets Fluch), The Feeble Files (dt. Floyd – Es gibt noch Helden) oder The Secret of Monkey Island.

Anders als in einer offenen Sandbox sind Protagonist*innen von Point-and-Click Adventures oft auf eine limitiere Anzahl von Karten beschränkt, in denen sie vorgefertigte Lösungen finden müssen und eine übermächtige Anzahl an Gegenständen finden, mit denen interagiert werden kann. Es gibt Beleuchtung, Dekoration, Charaktere, Gizmos die entscheidend für den Plot sind, Gizmos die einfach unnütz sind und Architektur: Spieler*innen können auf alles klicken und eine Reaktion des Charakters erwarten, wobei der deutlich überwiegende Teil der Interaktionen keine Auswirkung auf den Plot hat. Schlimmer noch: diese Interaktion verschwenden Zeit und behindert das Vorankommen im Spiel! Dadurch das Point-and-Click Adventures alles interaktiv machen, führen sie Interaktivität ad absurdum. Interaktivität verhindert die Auswirkung, die Spieler*innen auf das Spiel haben können.

Also haben diese Adventures durchaus eine andere, aber nicht weniger wirkungsvolle Methode gefunden, die Spieler*in zur Passivität zu zwingen. Wie sieht es jedoch mit den Protagonist*innen aus?

Hypermaskulinität wird in vielen traditionellen Computerspielen oft durch die Einführung eines „Bad Boy“ Charakters vermittelt. Der Charakter ist besonders tough, eigenständig, dominant, homophob und unterdrückt seine Gefühle (z.B. Duke Nukem). Sehen wir uns also die Protagonisten aus drei klassischen Point-and-Click Adventures an:

Broken Sword – George Stobbart (1996)

George Stobbart ist ein junger Amerikaner, der auf einer Reise in einen Bombenanschlag verwickelt wird. Er untersucht daraufhin die Hintergründe für den Anschlag, indem er die zweidimensionale Welt nach Hinweisen absucht. Die gesamte Serie stellt ihn als eine Art Geheimagent dar, jemand der Verschwörungstheorien zu Kulten, internationalen Schatzjagden und der Wiedererweckung eines Dämons auf die Schliche kommt. Bei genauerer Betrachtung existieren jedoch einige sehr klar Unterschiede.

Beinahe jede Art von physischer Konfrontation führt zu Georges Tot. Er benutzt keine Pistole, er kann (die meisten) seiner Probleme nicht mit Kraft lösen und in den meisten Fällen wird der Verlauf der Story von einem NPC verhindert, welcher ihm schlichtweg verbietet, weiter zu kommen. Im weiteren Spielverlauf erhält er Hilfe von der französischen Fotojournalistin Nicole Collage, die deutlich besser in der Lage ist mit Bedrohungen umzugehen. Es gibt zwar Situationen, in denen sie der „Damsel in Distress“-Trope zum Opfer fällt, jedoch ist sie absolut in der Lage uralte Fallen und Gegner eigenständig zu besiegen. In Teil zwei der Reihe wird sie selbst ein spielbarer Charakter.

The Feeble Files – Floyd (1997)

The Feeble Files hat eine humorvollere Story als die zynische „Broken Sword“ Reihe. Floyd ist ein Alien, das in einem totalitären System lebt, in dem Einwohner verhaftet werden, wenn sie nicht glücklich genug sind oder die falsche Musik hören. Ohne dass er etwas dafür tut wird er verhaftet. So kommt er mit einer Revolutionären-Gruppe in Kontakt und ist im Endeffekt für den Untergang seiner gesamten Zivilisation verantwortlich.

Floyd wird als angsterfüllt, körperlich schwach und sarkastisch dargestellt. Er ist oft passiv und ihm wird in den meisten Fällen gesagt, was er zu tun hat. In einem Gesellschaftssystem, in dem negativen Emotionen bestraft werden, beschwert er sich und drückt Trauer aus. Gleichzeitig ist er absolut unfähig, etwas an den Umständen zu ändern.

Am Ende des Spiels hat Floyd einen einzigen Anflug von Hypermaskulinität: Er schlägt und tötet einen alten Mann. Dieser, so stellt sich raus, war der „Founder“, der Leiter der Gesellschaft und der interstellaren Wirtschaft, wodurch Floyd ultimativ das ihm bekannte Leben auslöscht und Milliarden von Lebewesen zum Tode verurteilt. Es wird außerdem impliziert, dass Floyd der neue, extrem unqualifizierte, Anführer wird.

The Curse of Monkey Island – Guybrush Threepwood (1997)

Guybrush wird schon am Start des Spiels als Versager dargestellt. Er will der mächtigste Pirat werden, der jemals die Meere befahren hat, wird jedoch niemals ernst genommen. Ihm fehlt Stärke, Charisma und Vermögen. Die Piraten, die er in der Geschichte trifft, sind in der Regel überzeichnete, hypermaskuline Charaktere, also muskulös und aggressiv.

An einem Punkt in der Geschichte versucht Guybrush, seine geliebte Elaine von dem schrecklichen Geisterpiraten LeChuck zu befreien. Er stürmt dafür die Zwangshochzeit zwischen Elaine und LeChuck, um zu merken, dass sich Elaine schon längst selbst befreit hat. Durch das Eingreifen von Guybrush wird der Fluchtversuch vereitelt.

Das war nicht alles

Natürlich sind diese Spiele nicht frei von Problemen. Zum Beispiel kommt in jedem dieser Spiele eine weibliche Figur vor, die als Love-Interest für den Helden bereit steht. Diese Figuren sind gleichzeitig stärker und kompetenter als der Protagonist der Geschichte, jedoch nicht die Heldin der Story (Nico, Dolores, Elaine). Viel mehr werden sie (teilweise impliziert) dem Helden am Ende als Trophäe überreicht. Und dann existieren da auch noch 2D Point-and-Click Adventures wie Leisure Suit Larry. Ich wollte jedoch aufzeigen, dass die Unterwanderung der hypermaskulinen Erzählweise schon vor den Walking Simulatoren angefangen hat.

All diese Spiele unterwandern den klassischen hypermaskulinen Helden-Trope. Die Helden sind oft so inkompetent, dass sie an bestimmten Punkten den reibungslosen Ablauf der Story behindern und Erfolge oftmals durch das Scheitern von Plänen dargestellt werden. Dies wird kombiniert mit einem Spielsystem, das die Spieler*innen durch seine schiere Anzahl an interaktiven Items überfordert, wodurch Aktivität und Interaktivität bestraft werden. Gemeinsam bilden Point-and-Click Adventures neben Walking Simulatoren ein weiteres Genre, welches für die Erstellung von non-hypermaskulinen Spielen geeignet ist. Und da auch heute noch Spiele wie Kathy Rain erscheinen, haben wir diesbezüglich sicher auch noch nicht das Ende dieses Genres erlebt.

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