„Summerland“ ruft – Weekly Planet #71

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Wie fängt Mensch einen toten Spion? Summerland beantwortet die Frage. Ein gutes Buch, ein paar Gedanken zum Thema Nachruf und eine Menge Lesezeichen, das alles im neuen WEEKLY PLANET.

DRAGONS EAT EVERYTHING UPDATE

Anh hat Max Richard Leßmann interviewt. Es wird auf verschiedenste Art und Weise gegähnt und über Promis philosophiert. Paula und Maurice haben dann am Freitag über Grüne Tomaten und die Bundeswehr auf der GamesCon geredet. Nächste Woche gibt es ein Interview zum Thema König der Möwen eine neue Ausgabe NERD FEUILLETON und das was in diesem WEEKLY PLANET als Buchkritiken drin ist.

EIN NACHRUF NACH DEM ANDEREN

Ich bekomme jeden Monat das Locus Magazine über Blackdog Comics. Das ist eine Zeitung voller Buchreviews, Vorschauen, Listen mit Büchern die irgendwann erscheinen und schon erschienen sind. Es ist wunderbar. Die letzten drei oder vier Ausgaben waren bestimmt von Nachrufen. Ursula Le Guin, Gardner Dozois und zu letzt Harlan Ellison, alle drei Gigantinnen ihres Feldes. Von keinen der drei Autorinnen habe ich bisher ein Buch gelesen. Auch wenn ich meine mich relativ gut auszukennen, bin ich doch in einer erstaunlich kleinen Blase. Vielleicht kommt dazu, dass ich in den 60ern weder Science Fiction noch Fantasy gelesen habe und meine Kenntnisse an Klassischen Genre Literatur auf Robert A. Heinlein und Do Androids Dream of Electric Sheep begrenzt ist. Bevor ich mein Jahr in den USA verbracht habe, war Science Fiction für mich Warhammer 40k, zumindest habe ich nichts anderes mehr aus der Zeit. Über Dan Abnett, der immer noch über Gaunts Geister schreibt bin ich bei Angry Robot gelandet. Ganz zu schweigen von dem gigantischen Regal voller unbekannten Büchern, dass bei Cliff im Wohnzimmer stand. Jetzt habe ich lange keinen Heinlein mehr gelesen und weiß auch nicht ob sie mir noch gefallen würden. Ich verbringe mehr Zeit mit aktuellen Büchern als mit älteren und habe doch oft das Gefühl, dass mir eine Art Basis fehlen würde. Wenn ich durch Jo Waltons What Makes This Book so Great? blättere, dann wächst meine Liste an Büchern die ich noch lesen möchte ins Unermessliche. Und dann kommt ein weiterer Nachruf im Locus und mir sagen diverse Genregrößen wie toll und wichtig ein weiterer Autor oder eine Autorin war. Ganz davon abgesehen, dass diese Texte sehr traurig und für die Fahrt zur Arbeit gänzlich ungeeignet sind. Danach sitze ich auf der Arbeit und überlege wie ich an die Bücher von Harlan Ellis rankomme oder ob ich mir einfach nur seine Star Trek Folge, The City on the Edge of Forever, anschaue. Austin Kleon behauptet in einem seiner Bücher, dass Nachrufe ihn daran erinnern, dass er sterblich ist. Für mich sind es in diesem Fall trauernde Größen und Autor*innen, die ich erst nach ihrem Tod und auf Grund ihres Todes entdecke. Das erscheint mir unfair. Ein weiterer Grund für diese Gedanken war Audrey Watters Essay über B.F. Skinners Nachruf.

BABY BISON

REVIEW: SUMMERLAND VON HANNU RAJANIEMI

„That one Difference between animals and humans is that humans rarely admit to themselves what it is they really want.“

Summerland war mir erst suspekt. Dann habe ich ein, zwei Reviews gelesen und gedacht, ja, das könnte was für mich sein. „How do you catch a spy who’s already dead?“ ist die Catchphrase auf dem Leseexemplar. Eine gute Frage, Summerland beantwortet sie.

Der Ort Summerland ist ein Ort für die Geister der Toten. Es gibt Tickets mit denen Menschen nach Summerland kommen, wenn sie tot sind. Hier können sie beinahe parallel zu den Lebenden arbeiten und ihre Zeit verbringen. Kontakt zu Lebenden geht über Menschen, welche die Geister gegen Geld in sich aufnehmen. Dafür gibt es besondere Konstruktionen. Rachel White ist Agentin des „Winter Courts“, dem britischen Geheimdienst auf der Seite der Lebenden. Das britische Königreich befindet sich im kalten Krieg mit der Sovietunion. Peter Bloom ist Agent für den „Summer Court“, das Äquivalent auf der Seite der Toten. Bloom ist Doppelagent, Rachel erfährt das in den ersten zwei Kapiteln und ist ihm fort an auf den Fersen.

Als Ort ist Summerland durchaus faszinierend. Geister, die irgendwann verschwinden, hinterlassen einen Seelenstein. Die Stadt in Summerland ist aus diesen Steinen erbaut. Wer sie gebaut hat ist unklar. Ebenso warum findige Wissenschaftler sie verlassen aufgefunden haben. Hier können die ehemalig Lebendigen ihre Umgebung frei mit Hilfe ihrer Geisteskraft gestalten. Es gibt eine ganze Parallelgesellschaft der Toten, inklusive Dienstleistung, und Tourismus. Die Soviets gehen das Ganze ein bisschen anders an. Wer stirbt und würdig erachtet wird, wird Teil der „Presence“, einer Art kollektivem Supercomputer. Abgefahrenes Zeug.

In diversen Reviews ist bereits die Rede von den Büchern die Hannu Rajaniemi vorher geschrieben hat. Ich steige mit Summerland auf den Wagen auf. Und Summerland ist nicht ganz einfach. Da sind Ectophones für die Kommunikation mit den Toten/Lebenden, da ist Vim, eine Flüssigkeit (?) die Geister davon abhält zu verschwinden und nichts davon wird explizit erklärt. Summerland ist ein bisschen wie eine Fahrt auf der Geisterbahn, einmal drauf und es geht los. Da ist nichts mit Erklärungen oder dergleichen, das ist hier einfach so. Für mich hat das funktioniert, für andere nicht. Von Technikalitäten abgesehen macht Summerland wundervoll viele Fragen auf. Was, wenn die Queen nie richtig stirbt? Wenn der Boss einer Firma diese nie aus der Hand geben muss? Wenn ein zweites Leben ein Faktor wird, der nicht unabhängig von Reichtum ist? Bewegt sich eine Gesellschaft dann eigentlich noch vorwärts?

Der kalte Krieg ist nicht sehr freundlich zu Rachel White, die prompt degradiert wird, nachdem sie bei den Ermittlungen gegen Peter Bloom um offizielle Hilfe sucht. Der ist anscheinend so gut vernetzt, dass sie der „Hysterie“ (quasi) beschuldigt wird und zurück zu den Akten darf. Sie macht sich daraufhin inoffiziell ans Werk, findet Verbündete und ist dem Doppelagenten zügig auf der Spur. Es folgt eine spannende Spionage Geschichte. Angereichert mit Fragen über Krieg, grausamen Waffen und dem einen oder anderen moralischen Dilemma ist Summerland eine runde Sache.

Der Einstieg mag etwas schwierig sein. Und was ist eigentlich mit Deutschland und den USA? Was macht der Rest der Welt? Es kam mir ein wenig vor, als ob nur Großbritannien und die Sovietunion auf dem Spielplatz zu Gange wären. Charaktere sind nachvollziehbar und realistisch, ihre Motivationen sinnvoll und verständlich. Die Welt die Rajaniemi beschreibt erscheint lebendig und sehr regnerisch. Summerland ist erstaunlich kurz und in sich geschlossen. Dafür bin ich dankbar. Das Ende kommt weder hektisch noch unüberlegt daher und ich war wirklich froh ein in sich geschlossenes Buch gelesen zu haben.

Wer den Sprung ins kalte Wasser mag oder nicht alles verstehen muss, sich den Rest einfach selbst ausdenkt, kann an Summerland viel Spaß haben. Das Buch sprüht vor Ideen und macht als Spionagethriller eine Menge Spaß. Spannend ist es auch, innovativ mindestens. Es ist ein Buch, dass Ideen zu Hauf hat und sie gezielt und bewusst einsetzt, eine gute Sache.

Ich habe ein Leseexemplar gelesen. Gute Buchläden haben Summerland von Hannu Rajaniemi im Sortiment, andere können es bestellen. Das Buch ist bei Orion Books erschienen.

LESEZEICHEN

Über die Boxen läuft JFDR, ist aber gleich vorbei. Jetzt ist es Formerly Bodies und danach kommt girl in red. Ich muss Rücksicht nehmen, schlimm genug, dass ich so spät noch schufte.

Schreibt ihr in eure Bücher? Oder ist das Sakrileg? Wen hat Tintenherz dazu gebracht jedes Buch mit Samthandschuhen anzufassen? Ich befürchte, das meine Arbeit mir das langsam abgewöhnt.

HANG IN THERE

Ihr seid cool. Lasst euch nichts anderes erzählen. Besteht darauf und lasst euch nicht ärgern. Wir hören von einander. Bis nächste Woche. Und hey, abonniert doch den WEEKLY PLANET Newsletter!

About the Author

Lele

Wurde von einer Horde wilder Otakus aufgezogen und hat sich danach der westlichen Comicwelt gewidmet. Leles Spinnensinn klingelt wann immer jemand fragt „Warum heißt er eigentlich BATman, wenn er doch eigentlich der Gute ist?“. Er bringt eine umfangreiche Erfahrung in der Comicindustrie mit und die teilt er gerne mit jedem, egal ob er nun davon hören will oder nicht. Immer gut gelaunt spezialisiert sich Lele neben den Comics vor Allem auf Musik. Falls es eine japanische Underground-Band gibt, in der 4 Schulmädchen auf Gummihühner die Werke Mozarts nachspielen, so hat Lele schon ein Interview geplant, ein T-Shirt der Band im Schrank und ein Tattoo der Frontsängerin auf seinem Knöchel. „Also ich habe ja die Bücher gelesen…“ – Lele Lucas

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